Essay-Test-Aufgaben gehören zu den offenen Aufgabentypen und ermöglichen eine freie Beantwortung. Essay-Test-Aufgaben sind vornehmlich angebracht, um die eigenständige Strukturierung, Organisation, Integration und Bewertung des Wissens sowie das Finden und Darstellen kreativer Ideen anzuregen bzw. zu überprüfen. Damit ist dieser Aufgabentyp geradezu prädestiniert, Lehrziele hohen Lehrzielniveaus (in der Bloom'schen Taxonomie vor allem Analyse, Synthese und Bewertung) zu prüfen.Regeln zur Erstellung von Essay FragenEssay-Test-Aufgaben fördern das Lernen in besonderer Weise, da ein tieferes Verständnis für und die Auseinandersetzung mit komplexen Problemen verlangt werden. Essay-Test-Aufgaben haben zudem im Vergleich zu MC-Aufgaben eine größere Ähnlichkeit mit realen Problemstellungen.
Gronlund (1998) unterscheidet zwei Varianten der Essay-Test-Aufgabe
- Restriktive Antwortform (restricted-response-question)
Die möglichen zulässigen Antworten des Studenten werden durch bestimmte Vorgaben eingeengt. Die Frage darf dabei nicht zu allgemein, weit und abstrakt formuliert sein. Es wird klar präzisiert, zu welchem Aspekt der Student welche Art von Antwort geben soll: z.B.:
- "Nenne 3 Gründe für X und erkläre jedes Argument mit höchstens 2 Sätzen."
- "Beschreibe die 5 Stufen des Ablaufs y in der richtigen Reihenfolge mit jeweils einem Satz".
Durch die Eingrenzung der Fragestellung wird die (objektive) Auswertung erleichtert, da die möglichen zutreffenden Antworten antizipierbar sind. Ebenso läßt sich dann eine recht verbindliche Musterlösung als Rückmeldung formulieren. Allerdings limitiert diese Frageform die Entdeckung echter Organisations- und Strukturierungsleistungen des Studenten und kreative Leistungen sind so schwer erfassbar.- Erweiterte Antwortform (extended-response-question):
Diese Essayfrageform ist relativ offen und erfordert vom Studenten das Thema selbst zu interpretieren und nach eigenen Vorstellungen auszuarbeiten. Die Fragestellung gibt dem Studenten viele Freiheiten, die Art der Darstellung und den zum Thema gehörenden Bereich selbst zu gestalten.
Einschränkungen beziehen auch auf den Produktumfang (z.B. höchstens 2 Seiten) oder die Bearbeitungszeit (z.B.: nicht mehr als eine halbe Stunde). Die Frage sollte aber sicher stellen, daß die intendierten Lehrziele durch sie auch unter Beweis gestellt werden können und deshalb erfordert es einige Sorgfalt, derartige Fragen zu stellen. Völlige Offenheit kann es deshalb nicht geben.
Das größte Problem ist eine objektive Bewertung der Leistung. Sie ist zwar nicht unmöglich, aber sehr aufwendig.
1.) Wähle Essay-Test-Aufgaben nur zur Erfassung komplexer Lehrziele!
Diese Empfehlung dürfte für die Entwicklung von Tests in der Regel angemessen sein, da die objektiven Aufgabenformen (MC und Short-Answer) zur Erfassung einfacherer Lehrziele vorteilhafter sind. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, insbesondere für Übungszwecke (siehe Beispiel 1)
Immer dann, wenn eine freie, ohne Vorgaben belastete, umfangreichere Beantwortung essentiell zum Lehrziel gehört, kann auch bei niedrigem Lehrzielniveau nicht ganz auf Essay-Test-Aufgaben verzichtet werden.
Nach Gronlund ist zur Erfassung der Lehrziele Verstehen, Anwendung und Analyse der restriktive Essay-Aufgabentyp angemessen, der meist Fragen beinhaltet wie: "Begründe... ", Erkläre die Beziehung zwischen A und B", "Beschreibe Daten, Aufbau, Vorgang, Ablauf usw. .", Welche Schlußfolgerungen kann man aus X ziehen?
Für die Lehrziele Synthese und Bewertung gibt es keine Alternative zur erweiterten Essay-Aufgabenform.2.) Formuliere die Frage so, daß die intendierten Lehrziele auch erfaßt werden können!
Beim restriktiven Aufgabentyp sind die Vorgaben in der Fragestellung so zu wählen, daß klar erkannt werden kann, welches Lehrziel die Aufgabe messen soll. Aufgrund der Aufgabenstrukturierung sind die Erwartungen an die Antwort expliziert und die potentiell zutreffenden Antworten gut abzuschätzen.
Um beim erweiterten Aufgabentyp zumindest die Orientierung zu verbessern - ohne allerdings die Freiheit zu sehr einzuschränken - empfiehlt es sich, bestimmte Kriterien vorzugeben, an Hand derer die Aufgabe bewertet werden soll. Gronlund gibt als Beispiel: "Bewertet wird das Verständnis, die Bedeutsamkeit der Argumente, die Angemessenheit der Beispiele und die Organisation (Strukturierung, Ausformulierung) der Darstellung."3.) Formuliere die Frage so, daß die Anforderungen an die Aufgabe eindeutig sind!
Die Frage soll möglichst die erwartete Antwort prognostizierbar machen und dabei ist darauf zu achten, daß auch die richtigen Frageworte gewählt werden.
Schlechte Beispielfragen sind meiner Meinung nach etwa:Was fällt Ihnen alles zum Thema X ein?Gronlund (1998,S 108) stellt eine Tabelle zusammen, welche erwartetes Lehrzielniveau und dazu geeignete Fragen gegenüberstellt. Für komplexe Lehrziele empfiehlt Gronlund etwa die Fragestellungen "Warum , beschreibe, erkläre, vergleiche, setze zueinander in Beziehung, stelle gegenüber, interpretiere, analysiere, kritisiere, bewerte".
Skizzieren Sie den Problembereich Y!
Hier kommt es aber darauf an, ganz konkret zu präzisieren, etwa was mit wem zu welchem Zweck in Beziehung gesetzt werden soll. Manche eher abstrakt anmutende Begriffe können wesentlich klarer gefaßt werden, wenn man ihre Bedeutung durch die Wahl der Worte expliziert.
Schöne Beispiele für die Fragebedeutung unterschiedlich anspruchsvoller Fragen findet man bei
http://www.sla.purdue.edu/studentserv/learningcenter/handouts/essayexam.htm [24.3.2000]
etwa:Grundsätzlich bietet es sich an, eine Musterantwort auszuarbeiten - hier allein schon deshalb, um auch eine Rückmeldung geben zu können. Dann kann man auch besser überprüfen, ob die Fragestellung und die erwartete Antwort übereinstimmen. Für die Rückmeldung erscheint es mir zudem ratsam, auch bestimmte Kriterien zu explizieren, die notwendigerweise erfüllt sein müssen, damit die Antwort als hinreichend gelöst zu betrachten ist. Denn bei sehr weiten Aufgabenstellungen ist es unmöglich, eine Musterantwort zu erstellen, die alle Möglichkeiten quasi konkret beinhaltet.
- Contrast :Means to compare by showing the differences.
- Diagram: Means to make a graph, chart, or drawing. Be sure to label and add brief explanation if necessary.
- Illustrate: Means to explain or make it clear by concrete examples, comparisons, or analogies.
- Justify: Means to give a statement of why you think it is so. Give reasons for your statement or conclusion.
4.) Erlaube keine Auswahl aus mehreren Fragestellungen!
Diese Empfehlung gilt vornehmlich für Testzwecke. Denn durch eine freie Auswahl aus optionalen Fragen wird die Vergleichbarkeit der Leistungen und die Repräsentativität der Messung erschwert. Für Übungszwecke hingegen kann die Fragenauswahl aus motivationalen Gründen durchaus Sinn machen. Auch bei Klausuren bzw. Klassenarbeiten wird dem Prüfling gelegentlich eine Auswahl aus einem begrenzten Fragepool gestattet, was der Regel 4 widerspricht. Allerdings sollte die Qualität der Leistungsbeurteilung nicht alle anderen pädagogischen Ziele dominieren, etwa die der Schwerpunktsetzung eines Studenten gemäß den seinen Interessensschwerpunkten.5.) Zur Beantwortung der Essay-Test-Aufgaben sollten bestimmte Zeitgrenzen festgelegt werden.
Sind mehrere Aufgaben zu bearbeiten, empfiehlt es sich, die erlaubte Bearbeitungszeit für jede Aufgabe anzugeben. Es erscheint Gronlund sinnvoll, eher wenige Aufgaben zu stellen und für diese genügend Zeit zur Verfügung zu stellen.
Je offener die Fragestellung, desto aufwendiger ist die objektive Aus- und Bewertung. Eine maschinelle Auswertung ist unmöglich, eine individuelle Bewertung durch den Lehrer ist im Rahmen des WWW weder ökonomisch noch praktikabel. Da hier zudem der Übungs - und weniger der Testaspekt im Vordergrund steht, sind auch die vielfältigen Fehlerquellen nicht von Belang, die eine objektive Bewertung solcher Aufgaben im Schulalltag erschweren (z.B. Schriftbild, Textmenge, diverse Bluffmethoden des Studenten).Hier beschränken sich alle Auswertungsgesichtspunkte auf Informationen im Feedback, die der Aufgabenkonstrukteur dem Studenten als Selbstbewertungshilfen anbietet.
Auf jeden Fall sollte das Feedback eine instruktive Musterantwort enthalten, da die Vermittlung der korrekten Antwort für ein lerneffektives Feedback essentiell ist. Desweiteren könnten optional nähere Kriterien aufgeführt werden, die klarstellen, welche Angaben in der Antwort notwendigerweise enthalten sein müssen, welche Angaben nicht ausreichen und welche potentiell häufig gemachten Fehler auf jeden Fall nicht vorkommen sollten. Diese Angaben können naturgemäß nur allgemein beschrieben werden. Insgesamt aber muß das Prinzip der Ökonomie berücksichtigt werden. Man darf nicht davon ausgehen, daß die Nutzer hier richtige Abhandlungen in das Antwortfeld schreiben und dann auch minutenlang die Auswertungsregeln studieren.
Aufgabenkonstrukteur
Allgemein hat es den Anschein, als ob freie Beantwortungsfragen einfacher zu erstellen seien als z.B. Multiple-Choice-Aufgaben. Das trifft aber nur bedingt zu. Insbesondere wenn man effiziente Rückmeldungen als zur Aufgabenkonstruktion gehörig hinzurechnet und sich Gedanken darüber macht, was eigentlich eine optimale Musterantwort sein könnte, die sich auch genau auf das intendierte Lehrziel bezieht, erkennt man, daß auch die Erstellung von Essay-Test-Aufgaben recht zeitintensiv sein kann.Student
Essay-Test-Aufgaben zu beantworten ist recht aufwendig. Ich vermute daher, daß dieser Aufgabentyp unter dem Unterrichtsarrangement einer freiwilligen Beantwortung nicht sehr geschätzt ist. Es erfordert eine Menge Selbstkontrolle und hinreichende Ausdauer, die Essay-Test-Aufgabe gewissenhaft und vollständig zu beantworten. Komplexe Aufgaben erfordern intensive Eigenaktivität, die zwar recht lernfördernd, aber eben auch ziemlich anstrengend ist. Ich verwende diesen Aufgabentyp auch meistens in Form verpflichtender Arbeitsaufträge, die schriftlich abgeliefert werden müssen.
Faktenwissen und Verständnis (restriktive Essay-Test-Aufgabe)
Dieses Beispiel widerspricht ein wenig der Regel 1 und auch der Regel 4, erscheint mir aber insofern für Übungszwecke sinnvoll, als es recht schwierig bzw. umständlich ist, mit anderen Aufgabentypen zu prüfen, ob der Student wenigstens einige Methoden aus der Menge mehrerer Methoden kennt und erklären kann.
Zugleich wird er in der Rückmeldung auf alle möglichen Methoden aufmerksam gemacht.
Die Rückmeldung gibt neben einem konkreten Beispiel zugleich die Kriterien an, die allgemein zu erfüllen sind, damit der Student z.B. bei einem anderen gewählten Beispiel dessen Angemessenheit beurteilen kann.Verständnis, Analyse, Bewertung (Essaytest, erweitere Antwortform)
(Hinweis: ob es sich hierbei um ein höheres Lehrziel handelt, hängt natürlich auch davon ab, ob die Antwort nicht einfach aus dem Lehrmaterial durch Auswendiglernen erbracht werden kann. Insofern kann man aus der Fragestellung allein natürlich nicht zwingend auf das Lehrzielniveau schließen.)
Links zu Essay-Test-Aufgaben