Das Ziel der beschreibenden Diagnostik ist nach KOBI (1990) eine möglichst umfassende und genaue Darstellung eines Problems. Dabei gelangt man in der Regel zu Definitionen, die als Grundlage für ein gegenseitiges Verständnis dienen können. Mit solchen Übereinkünften, die durchaus konventionellen Charakter haben, soll sichergestellt werden, dass unterschiedliche Beobachter und Diagnostiker von ähnlichen oder gleichen Erscheinungsbildern sprechen. Solche konventionellen Absprachen finden sich zum Beispiel bei den Kriterien, die das Vorliegen eines Hyperkinetischen Syndroms bestätigen (Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Hyperaktivität) oder auch bei der Legasthenie-Definition. Unter Legasthenie versteht LINDER (1962) "eine spezielle, aus dem Rahmen der übrigen Leistungen fallende Schwäche beim Erlernen des Lesens ... bei sonst intakter oder - im Verhältnis zur Lesefähigkeit - relativ guter Intelligenz" (LINDER 1962, S. ).
2. Selektions-/Platzierungsdiagnostik (Ein-, Umschulung, Berufswahl)
KOBI (1990) sieht das Ziel der Selektions- bzw. Platzierungsdiagnostik in der Einweisung eines Kindes in ein vorgegebenes Funktionsraster. Es existiert ein bestimmtes Anforderungsprofil, und die diagnostische Aufgabe besteht darin, Kinder dahingehend zu untersuchen, ob ihre Eigenschaften und Kompetenzen diesem Anforderungsprofil entsprechen. Solche vorgegebenen Anforderungsbereiche können Schultypen, Berufe oder Sondereinrichtungen sein.
3. Förderdiagnostik (Lernhemmungen)
Nach KOBI (1990) betritt man mit der Förderdiagnostik ausgesprochen heil- oder sonderpädagogisches Terrain. Als ihre Aufgabe nennt er, sich Klarheit über die Bildungsmöglichkeiten eines Kindes und die damit zusammenhängenden erzieherischen und unterrichtlichen Notwendigkeiten und Zielsetzungen zu verschaffen. Diese Diagnostik ist ausgesprochen subjektorientiert, auf ein bestimmtes Kind in einer spezifischen Lebens- und Lernsituation ausgerichtet. Es gilt, die veränderungsnotwendigen und veränderbaren Entwicklungs- und Lernbereiche eines behinderten Kindes zu finden. "Aus einer konkreten Behinderungssituation heraus werden konkrete, kurz- und mittelfristige Bildungsziele und Förderungspläne entwickelt" (KOBI 1990, S. 52).
4. Normalisierungsdiagnostik (Gestaltung der Lebensbedingungen)
Im Rahmen der Normalisierungs- und Integrations-Diagnostik geht es für KOBI (1990) nicht mehr darum, ein Problemverhalten, eine Lernsituation zu analysieren, mit dem Ziel Förderstrategien und Entwicklungsmöglichkeiten zu finden, sondern um die Gestaltung dessen, "was als Schicksal bleibt, wenn alle für uns lösbaren Probleme gelöst, das Heilbare geheilt, das Förderbare gefördert, kurz: das Veränderbare verändert worden ist" (KOBI 1990, S. 55). Es geht vielmehr um die Fragen,
1. Deskriptive Diagnostik (Legasthenie, Integrationsklassen)
In einer Gesellschaft mit beschränkten Ressourcen müssen diese nach festgelegten und nachvollziehbaren Kategorien verteilt werden. Es muss deshalb einen Diagnostiker geben, der zum Beispiel entsprechend einer Definition feststellt, dass bei einem Kind eine Legasthenie vorliegt und ihm deshalb eine zusätzliche therapeutische Betreuung zusteht.
Ätiologische Aspekte und Fragen sowie Förder- und Behandlungsstrategien werden hierbei nicht aufgegriffen und diskutiert.
Das Grundmuster einer solchen Diagnostik folgt dem Entweder-Oder-Prinzip. Die Fähigkeiten eines Kindes passen zu den entsprechenden Anforderungen oder nicht. Die vorgegebenen Bedingungen können erfüllt werden oder nicht. Das vorhandene Anforderungsprofil steht dabei nicht zur Diskussion.
Auch in den sonderpädagogischen Arbeitsfeldern müssen solche Passungsprobleme diagnostisch gelöst werden. Ein Kind ist in ein Heim, eine Sonderschule oder in eine teilstationäre Einrichtung wie etwa eine heilpädagogische Tagesstätte einzuweisen. Kinder sind auszuwählen, die im Rahmen mobiler Dienste betreut werden. Die Eignung für bestimmte Berufe muss festgestellt werden. Selbst im Rahmen einer integrativen Beschulung ist es in der Regel erforderlich, bestimmte vorhandene Förderressourcen (zusätzliche Lehrerstunden, spezifische therapeutische Angebote) einem bestimmten Kind zuzuweisen. WOCKEN (1996) fasst diesbezüglich seine Erfahrungen aus Modellversuchen zur integrativen Förderung zusammen, wenn er schreibt: "Wer immer Lehrerstunden haben will, muss als Vorleistung behinderte Kinder namentlich benennen. ... Die Vergabe zusätzlicher Mittel scheint nur dann gerechtfertigt, wenn die Empfänger auch nachweislich und anerkanntermaßen bedürftig sind. Damit zusätzliche Lehrerstunden für eine Klasse ohne Neid und Groll von anderen akzeptiert werden können, müssen einsichtige und nachvollziehbare Gründe angeführt werden" (WOCKEN 1996, S. 34f).
Die förderdiagnostische Frage ist im Zusammenhang mit Selektion, Zuweisung und Platzierung noch nicht beantwortet, ja noch nicht einmal gestellt. Sie kann erst nach der Ein- oder Zuweisung unter Berücksichtigung der gewählten und nun vorliegenden spezifischen Rahmenbedingungen konkrete Gestalt annehmen.
Mit dem Konzept der Förderdiagnostik versucht die Sonderpädagogik seit den siebziger Jahren, sich von der eher aus Medizin und Psychologie stammenden Status- und Zuschreibungsdiagnostik abzusetzen, um ein interaktionales prozessorientiertes Denk- und Handlungsmodell anzustreben.
Sonderpädagogische Diagnostik findet ihren Ausgangspunkt in spezifischen Fragestellungen und versucht diese zu beantworten.
Weiterführende Literatur:
Kobi, E.E. Diagnostik in der heilpädagogischen Arbeit. Luzern 1990