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Meßniveau

Die Verwendung von Zahlen bei der Datenerfassung hat nicht nur die Funktion, die empirischen Informationen, die in der Regel sehr umfangreich sind, durch die Reduzierung auf numerische Kodes effizient verarbeiten zu können. Dafür könnte man auch Buchstaben, Symbole oder andere Abkürzungen verwenden. Durch Verwendung $ \dq$geeigneter$ \dq$ Zahlen sollen vielmehr die sozialwissenschaftlich interessanten Sachverhalte abgebildet werden. Diesen Vorgang nennt man auch Messung, und die Frage ist, welche Zahlen für welchen Sachverhalt geeignet sind.

Ziel einer Messung ist eine möglichst strukturtreue Abbildung eines empirischen Relativs durch ein numerisches Relativ. Unter einem Relativ versteht man eine Menge von Elementen, zwischen denen bestimmte Beziehungen bestehen. Sozialwissenschaftler interessieren sich für empirische Elemente wie beispielsweise Menschen, Gruppen, Werturteile, Wünsche, Texte usw., deren Beziehungen (Relationen) untereinander sie durch Prädikate wie $ \dq$ist älter als$ \dq$, $ \dq$hat zweimal so viele Mitglieder wie$ \dq$, $ \dq$ist scheußlich$ \dq$, $ \dq$möchte ich lieber als$ \dq$, $ \dq$steht im Text zwischen ... und ...$ \dq$ beschreiben. Der Vorgang der Messung ist eine Form der Informationsreduktion dieser sprachlichen Aussagen. Dabei geht es darum, das empirische Relativ durch Zahlen abzubilden, also durch ein numerisches Relativ. Konkret: »Ausprägungen« einer empirischen Eigenschaft (z.B. Konfessionszugehörigkeit) sollen Zahlen in einer Weise zugeordnet werden, daß den empirischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Untersuchungseinheiten analoge Beziehungen zwischen den Zahlen entsprechen. Die Elemente des numerischen Relativs sind die Zahlen, für die ebenfalls gewisse, jetzt allerdings numerische Relationen gelten ($ \dq$10 ist doppelt so groß wie 5$ \dq$, $ \dq$die Differenz von 78 und 57 beträgt 21$ \dq$, $ \dq$4 ist größer als 2$ \dq$, $ \dq$13 und 14 sind verschieden$ \dq$ usw.). Das Problem der Messung besteht darin, daß es zwischen Zahlen numerische Beziehungen geben kann, denen keine empirischen Beziehungen der gemessenen Eigenschaft entsprechen. Die Zahl 2 für die Ausprägung $ \dq$evangelisch$ \dq$ ist zwar größer als die Zahl 1 für die Ausprägung $ \dq$katholisch$ \dq$, kein Sozialwissenschaftler wird jedoch ernsthaft behaupten, daß diese numerische Beziehung eine empirische Entsprechung hat - etwa derart, daß Protestanten religiöser sind als Katholiken.

Das Meß- oder Skalenniveau (engl.: measurement scale) einer »Variablen« gibt an, welche numerischen Relationen der verwendeten Zahlenkodes tatsächlich empirische Entsprechungen haben sollen. Die Betonung liegt auf $ \dq$sollen$ \dq$, denn welche empirischen Beziehungen bedeutsam sind (und strukturtreu durch Zahlen abgebildet werden sollen), ist immer eine Forscherentscheidung (s. »Operationalisierung«). Man unterscheidet folgende Meßniveaus:

Eine Verhältnis- oder Ratioskala setzt voraus, daß die Zahl Null eine natürliche Entsprechung in den empirischen Daten hat, während bei einer intervallskalierten Variablen die Vergabe des Wertes Null für eine bestimmte Ausprägung der zu messenden Eigenschaft Forscherentscheidung ist. Relativ zu dieser durch den Forscher gewählten Ausprägung werden dann die Größenunterschiede aller anderen Ausprägungen gemessen. Man spricht auf von einem absoluten und einem definierten Nullpunkt.

Beispiele: Bei dem Merkmal Geschlecht geht es lediglich darum, durch geeignete Zahlen männliche und weibliche Befragte zu unterscheiden (Nominalskala). Die Antworten auf eine Einstellungsfrage mit einer fünfstufigen Antwortskala können mit fünf aufsteigenden Zahlen $ \dq$gemessen$ \dq$ werden, um zu sehen, welche Befragungspersonen mehr oder weniger zugestimmt haben (Ordinalskala). Anhand des Geburtsjahres kann man erkennen, um wieviele Jahre eine Person A früher oder später geboren wurde als eine Person B. Man beachte allerdings, daß unsere Zeitrechnung (gregorianischer Kalender) auf einer Definition beruht, die das Jahr Null auf den Zeitpunkt der Geburt Christi festlegt (Intervallskala). Das gilt nicht für das Lebensalter einer Person, das immer ab der Geburt dieser Person gemessen wird. Daher sind nicht nur Aussagen darüber möglich, um wieviele Jahre eine Person A älter ist als eine Person B, sondern auch, ob sie doppelt oder dreimal so alt ist (Verhältnisskala). In der Praxis können einzelne Variablen auch mehrere Meßniveaus gleichzeitig aufweisen: z.B. wenn bei der Erhebung des Berufes sowohl nach verschiedenen beruflichen Stellungen (Arbeiter, Angestellte, Beamte usw. - eine Nominalskala) als auch nach einer Hierarchie von Tätigkeiten unterschieden wird (ungelernte, angelernte, Facharbeiter, einfache, mittlere, höhere Angestelle usw. - eine Ordinalskala).

Zusammengefaßt gibt das Meßniveau einer Variablen an, welche numerischen Relationen der Zahlen (Meßwerte) jeweils von inhaltlichem Interesse für die sozialwissenschaftliche Fragestellung sind. Konkret: Werden zwei Ausprägungen der zu messenden Eigenschaft mit den Zahlen $ a$ und $ b$ belegt, dann interessieren je nach Meßniveau nur bestimmte numerische Relationen dieser Meßwerte:

Die vier Meßniveaus bilden selbst eine Rangordnung, weil die interessierenden numerischen Relationen auf Nominalskalenniveau eine Untermenge der Relationen auf Ordinalskalenniveau sind und diese wiederum eine Untermenge der Relationen auf Intervallskalenniveau usw. Man bezeichnet diese Eigenschaft als Informationsgehalt der Messung, der bei Nominalskalen am geringsten und bei Verhältnisskalen am höchsten ist.

Da das Meßniveau angibt, welche numerischen Operationen mit den Meßwerten inhaltlich sinnvoll sind, werden statistische Verfahren von vielen Autoren danach geordnet, für Variablen welchen Meßniveaus sie geeignet sind. Statt vier verschiedener Meßniveaus wird dabei häufig nur zwischen metrischen und nicht-metrischen Variablen differenziert (engl.: metric and non-metric variables). Gemeint sind damit intervall- und verhältnisskalierte Variablen einerseits und nominale und ordinale Variablen andererseits. Grundlage dieser Unterscheidung ist die Frage, ob die jeweilige Messung (mindestens) Größenunterschiede erfaßt oder nicht. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen eines Maßsystems (einer Metrik). Dementsprechend unterteilen viele Autoren statistische Analyseverfahren in Methoden für metrische und für nicht-metrische Variablen. Diese Unterscheidung wird in diesem Glossar nicht aufgegriffen.


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HJA 2001-10-01