Überblick
Studie 3:
Angstabbau durch Transparenz - eine Metaanalyse zum Saarbrücker Schulangstprojekt
Im BMBW-Projekt "Konkretisierung, Durchführung und Evaluation
pädagogischer Maßnahmen zum Abbau von Angst in schulischen Leistungssituationen"
unter Leitung von P. Strittmatter wurden interessierte Lehrer in didaktisch
sehr gut ausgearbeiteten Lehrerfortbildungsseminaren unter anderem auch
darin geschult, selbständig Transparenzpapiere zu entwickeln. In Kombination
mit anderen Maßnahmen wurden derartige Transparenzpapiere mehrmals
eingesetzt und entsprechende Daten sowohl an Versuchs- wie Kontrollklassen
erhoben.
Untersuchungsziel
Mit Hilfe der Daten, die mir dankenswerter Weise zur Verfügung
gestellt wurden, sollte die Auswirkung des Transparenzpapiers auf die Angst
unter natürlichen Schulbedingungen umfassend überprüft werden,
um abzuchecken, ob sich die Maßnahmen im realen Schulalltag bewähren
würden und ob der theoretisch angenommen Weg auch hier bestätigt
werden konnte.
Allerdings wurden nicht alle hierfür relevanten Daten erhoben
und hinsichtlich der methodischen Stringenz der Untersuchungsdurchführung
mußten einige Abstriche in Kauf genommen werden, was bei Studien
in der realen Umwelt häufig unvermeidlich ist.
Vorgehen:
Von den verfügbaren Daten habe ich zur weiteren Analyse nur solche
Klassen ausgewählt, denen eine unabhängige Kontrollklasse zugeordnet
werden konnte, sodaß vereinfacht zum Beispiel folgender Versuchsplan
zugrundelag:
unmittelbar unmittelbar
vor der vor der
Klassenarbeit n Klassenarbeit n+1
EG: O X O
-----------------------
KG: O O
Da die Versuchsklassen im Anschluß an obigen Versuchsplan noch Transparenzpapiere
für mehrere Klassenarbeiten erhielten, war es auch möglich die
langfristige Wirkung eines Transparenzpapiers zu testen, dem dann z.B.
folgender Plan zugrunde lag.
unmittelbar unmittelbar
vor der vor der
Klassenarbeit n Klassenarbeit n+3
EG: O X X X O
--------------------------
KG: O O
Hier wurden folglich Messungen aus der letzten Klassenarbeit mit Transparenzpapier
erhoben.
Nach den Auswahlkriterien blieben 9 Versuchs- und Kontrollklassen übrig,
deren Ergebnisse in Form einer Metaanalyse zusammengefaßt wurden.
Alle untersuchten Klassenarbeiten beziehen sich auf die Fächer Mathematik
oder Fremdsprachen (Französisch bzw. Englisch).
Ist objektiv Transparenz geschaffen worden ?
Um die Validität der Transparenzpapiere der Lehrer zu überprüfen,
wurden vom Projekt entsprechende Kriterien entwickelt. Eine daran orientierte
Analyse von 40 Transparenzpapieren ergab, daß die an ein Transparenzpapier
gesetzten Anforderungen im Durchschnitt zu 80%, bei dem besonderes wichtigen
Kriterium 'Explizierung der prüfungsrelevanten Lehrziele' sogar fast
zu 90% erfüllt waren. (siehe dazu: ein Beispiel für ein Transparenzpapier)
Fazit: Es ist objektiv Transparenz geschaffen worden. Lehrer
sind in der Lage, ein derartiges Transparenzpapier in hinreichendem Qualität
zu erstellen.
Wird die objektive Transparenz als subjektiv transparent
empfunden?
Die Ergebnisse zur subjektiven Transparenz werden hier direkt als durchschnittliche
Effektstärken über alle Klassen hinweg für mehrfache Vergleiche
(einmales Transparenzpapier, mehrfaches Transparenzpapier, ... sonstige
Vergleiche) dargestellt:
Subjektive Transparenzentwicklung
Durchschnittliche Effektstärke für insgesamt
4 Vergleichsvarianten
.75
|
.61
|
.72
|
.46
|
.75 bedeutet z.B., daß die Versuchsklassen im Durchschnitt nach
der Einführung eines Transparenzpapiers gegenüber den Kontrollklassen
einen subjektiven Transparenzgewinn von 0,75 Standardabweichung erreichten.
Alle Effektstärken sind statistisch eindeutig zu sichern. Gegenüber
den Studien 1 und 2 fallen die Transparenzgewinne vom Ausmaß her
niedriger aus, was möglicherweise aber auch darauf zurückgehen
könnte, daß in den entsprechenden Schulfächern die zu erwartenden
Prüfungsanforderungen besser vorhersehbar sind.
Fazit: Es ist subjektiv Transparenz geschaffen worden.
Führt subjektive Transparenzsteigerung zu einer subjektiven
Kompetenzerhöhung ?
Die subjektive Kompetenz wurde im gegebenen Fall durch die Frage erhoben:
Welche Note wirst du vermutlich in der bevorstehenden Klassenarbeit erzielen?
Die Tabelle zeigt die durchschnittlichen Effektstärken für mehrere
Vergleiche:
Subjektive Kompetenzentwicklung
Durchschnittliche Effektstärke für insgesamt
4 Vergleichsvarianten
-.01
|
.03
|
0.01
|
.30
|
Bis auf die Effektstärke von .30, deren Ausmaß als praktisch
unbedeutend einzuschätzen ist, sind alle Effektstärken insignifikant.
Fazit: Die subjektive Kompetenz hat sich trotz subjektiver Transparenzsteigerung
nicht verbessert.
stimmt hier nicht.
Bewirkt ein Transparenzpapier die Reduktion der Angst vor
der Klassenarbeit ?
Nach den Ergebnissen zur Kompetenzentwicklung ist eine Angstreduktion
theoretisch nicht mehr zu erwarten.
Aktuelle Angst vor der Klassenarbeit
Durchschnittliche Effektstärke für insgesamt
4 Vergleichsvarianten
-.06
|
.13
|
.19
|
.11
|
Diese Erwartung bestätigt sich in einer bewundernswerten Klarheit.
Alle Effektstärken sind insignifikant.
Das tabellarische Ergebnis ist hinreichend und bedarf eigentlich keiner
graphischen Veranschaulichung. Da die Erstellung von Graphiken
aber ein Hobby von mir ist, der Drang zur Visualierung losgelöst von
didaktischer Notwendigkeit ungebrochen weiter voranschreitet und in der
Psychologie gar nicht so selten "nichts" herauskommt, will ich hier dennoch
eine entsprechende Graphik vorschlagen, die im übrigen so sicher nicht
von automatischen Chartprogrammen erstellt wird.
Ergebnisse zur aktuellen Angst für 4 Vergleichvarianten
Fazit: Es ist nicht gelungen, durch ein Transparenzpapier die Angst
vor der Klassenarbeit zu senken.
Resume
Das wichtigste Ergebnis dieser Analyse ist der fundierte konsistente
Nachweis, daß hier auf einen subjektiven Transparenzgewinn keine
subjektive Kompetenzsteigerung folgte, womit eine Angstreduktion schon
gar nicht mehr erwartet werden durfte. Wie in Studie
2 erklärt, führt subjektive Transparenz nicht zwingend zur
Kompetenzsteigerung, sondern im wesentlichen nur dann, wenn gezielte Vorbereitungshilfen
die explizierten Prüfungslehrziele effizienter und sicherer erfüllbar
erscheinen lassen.
Diese Bedingungen scheinen nicht erfüllt zu sein, wofür meiner
Meinung nach hauptsächlich die Komplexität der Lehrziele sowie
die praktizierte Notengebung verantwortlich sind.
Je höher die Lehrziele in einer Lehrzielhierachie stehen, um so
weniger reicht Transparenz alleine aus, um den Lernerfolg zu sichern, weil
dann die Beherrschung vieler untergeordneter Lehrziele notwendige Voraussetzung
zur Lösung der gestellten Aufgaben ist. Je größer der Umfang
eines systematisch aufeinander aufbauenden und hierarchisch aufgebauten
Grundlagenwissens ist, desto wahrscheinlicher lassen sich Defizite ausmachen,
die durch Transparenz und allgemeine Lernhilfen nicht direkt beseitigt
werden können. Die hier analysierten Schulfächer Mathematik und
Fremdsprachen zeichnen sich aber gerade durch ihr systematisch aufeinander
aufbauendes Wissen aus.
Die in unserem Schulsystem praktizierte Notengebung führt im Endeffekt
zu annähernd normalverteilten Noten, deren Stabilität (Retestreliabilität)
gerade bei den analysierten Fächern recht hoch ausfällt und den
Schülern kaum deutlich erkennbare Veränderungsspielräume
läßt. Auch wenn der Schüler objektiv im Hinblick auf das
Lehrziel Fortschritte macht, kann er nicht damit rechnen, diesen Fortschritt
in der Notengebung zu finden, weil er faktisch an der sozialen Bezugsnorm
gemessen wird. Auch Verordnungen, die eigentlich eine lehrzielnormierte
Bewertung vorschreiben, helfen hier wenig, weil die Lehrziele schon so
definiert werden, daß der Durchschnitt der Klasse nicht mit der Note
gut abschneiden kann.
Quelle:
Jacobs, B. (1987). Die Auswirkungen transparenzschaffender
Maßnahmen auf die aktuelle Angst vor einer Klassenarbeit
- Eine Metaanalyse zum
Saarbrücker Schulangstprojekt. Empirische Pädagogik 1(2). 139-160
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der Ergebnisse
last update 2.9.1997; Bernhard Jacobs, pf00bj@rz.uni-sb.de