Theoretisch angenommener Weg von der Transparenzsteigerung zur Angstreduktion
Transparenzpapiers X1
Das Transparenzpapier sollte die nachfolgenden Transparenzkriterien
erfüllen:
Placebobedingung X2
Die hier gewählte Placebobedingung kann durchaus als ernstzunehmende Maßnahme gewertet werden und ist nicht der Verabreichung einer wirkstofflosen Zuckerpille vergleichbar. In einem Informationspapier wurden weniger detaillierte Informationen zur Prüfung gegeben, allgemeine Lernhinweise unterbreitet und der pädagogische Sinn von Prüfungen diskutiert.
Kontrollgruppe (kein Symbol, da hier nur Messungen vorgenommen wurden)
Die Schüler unter der Kontrollbedingung erhielten kein gesondertes Informationspapier, sondern wurden über die Klassenarbeit wie üblich informiert.
Nov 82 Januar 83 März 83
Klasse A: O O X1 O O O ------------------------------------------------ Klasse B: O O X2 O O X1 O ------------------------------------------------ Klasse C: O O O O X2 O
1.Klassen- 1 Woche 2.Klassen- 1 Woche 3.Klassen- arbeit vor der 2. arbeit vor der 3. arbeit Klassenarbeit Klassenarbeit
Ausgangs- Vortest Nachtest Vortest Nachtest messung
__________________________________________
X1 = Transparenzpapier X2 = PlacebobedingungDie Untersuchung bezog sich nur auf das Fach Soziologie. Wie aus dem Versuchplan hervorgeht, wurden die Schüler der 3 Parallelklassen zu mehreren Zeitpunkten gemessen und insgesamt einem Zeitreihenplan mit Treatment-Reversal-Bedingungen unterzogen. Die erste Messung diente lediglich einer Ausgangsmessung, um die Vergleichbarkeit der Klassen einschätzen zu können, kann aber darüber hinaus auch schon etwas zur Klärung bestimmter Fragen beitragen. Allerdings wurden nicht alle möglichen Variablen erhoben.
Die entscheidende Untersuchung bezieht sich auf die 2. und 3. Klassenarbeit. Hier wurden jeweils eine Woche vor der Klassenarbeit wichtige Variablen erhoben, die sich auf die Einschätzung der bevorstehenden Klassenarbeit bezogen. Unmittelbar nach den Erhebungen wurden den Klassen, je nach Bedingung die Informationspapiere oder gar nichts ausgehändigt. Die Messung zum Klassenarbeitstermin fand unmittelbar vor dem Austeilen der Klassenarbeitsunterlagen statt. Für die experimentelle Prüfung sind insbesondere die Veränderungen zwischen den Terminen "1 Woche vor der Klassenarbeit" und dem Termin "unmittelbar vor der Klassenarbeit" relevant.
Auch die vielen sonstigen Vergleiche sprechen überwiegend eindeutig für die Ansicht, daß man mit Hilfe eines Transparenzpapiers subjektiv Durchsichtigkeit schaffen kann.
Subjektive Transparenz allein führt nur dann zu einer Steigerung
der subjektiven Kompetenz, wenn dadurch entsprechend nach Jacobs und Bedersdorfer
(1982)
Skalenbedeutung: 1=stimmt überhaupt
nicht
7= stimmt genau |
2. Klassenarbeit | 3. Klassenarbeit | ||||
EG | PG | KG | EG | PG | KG | |
Durch die Informationen des Lehrers ist der mögliche Prüfungsstoff reduziert worden | 5.6 | 4.1 | 3.3 | 6.2 | 3.9 | 2.1 |
Die Informationen, die uns der Lehrer gegeben hat, reichten aus, um sich gezielt vorbereiten zu können | 5.7 | 4.6 | 4.1 | 6.3 | 5.3 | 2.7 |
Zur Vorbereitung der Klassenarbeit stand mir genügend Zeit zur Verfügung | 5.4 | 4.4 | 4.6 | 4.9 | 4.6 | 3.6 |
Ich habe mich intensiv auf die Klassenarbeit vorbereitet. | 4.8 | 3.8 | 4.3 | 5.4 | 4.0 | 4.0 |
Zweifel am Nutzen der Prüfungsvorbereitung:
Alle erhobenen Informationen lassen daher eine Steigerung der subjektiven Kompetenz erwarten.
Als Maße der subjektiven Kompetenz wurde neben der erwarteten Note noch der Mittelwert des zu erwarteten Punktzahlbereichs erfaßt. Beide Maße wurden anschließend in z-Werte umgewandelt und zusammengefaßt -interne Konsistenz schwankt zwischen .88 bis .93 -, wodurch die hier dargestellte Skala keine direkt anschaulichen Werte repräsentiert.
Subjektive Kompetenzveränderungen
Die subjektiven Kompetenzgewinne der Transparenzgruppen gegenüber den Kontrollgruppen sind jeweils statistisch klar belegt und betragen vom Ausmaß her ca. 1 Standardabweichung, die entsprechenden augenscheinlichen Vorteile der EG gegenüber der PG sind hingehen nicht signifikant. Klasse B zeigt aber über die Testung hinaus im Längsschnitt unter der Placebobedingung keine Kompetenzsteigerung, wohl aber unter der Transparenzbedingung. Dieser Unterschied wurde statistisch nicht getestet.
Sinkt die Mißerfolgsbefürchtung ?
Bei Klassenarbeiten läßt sich die Mißerfolgsbefürchung
weitgehend aus dem Kompetenzdefizit ableiten. Das Kompetenzdefizit wurde
durch mehrere Fragen erhoben, welche stets die Diskrepanz zu einem angestrebten
Ziel thematisierten und nach Z-transformation zusammengefaßt wurden.
(interne Konsistenz= .81 bis .90). Im diesem Kompetenzdefizit ist explizit
auch die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, seine angestrebte Note zu erreichen
enthalten, welche ein klassisches Item der Mißerfolgsbefürchtung
darstellt.
Alle Befunde sprechen in konsistenter Weise für die Wirksamkeit des Transparenzpapiers im Hinblick auf eine Senkung der Mißerfolgsbefürchung, da die entsprechenden Vorteile in der Kompetenzdefizitentwicklung der EG-Gruppen gegenüber den Kontrollgruppen stets auf dem Promille-Niveau und gegenüber der Placebogruppe stets auf dem 5%-Niveau statistisch nachgewiesen werden konnten.
Wie weitere Analysen eindeutig bestätigten, geht die Veränderung des Mißerfolgsbefürchtung nicht auf eine Veränderung des Anspruchsniveaus zurück, sodaß die Entwicklung der Mißerfolgsbefürchtung im wesentlichen auf die Kompetenzentwicklung zurückgeführt werden muß.
Sinkt die aktuelle Angst vor der Klassenarbeit ?
Nach der Theorie von Jacobs bewirkt unter sonst gleichen Umständen eine Reduktion der Mißerfolgsbefürchtung eine Angstsenkung. Die zweite wesentliche Komponente der Angst, das Ausmaß der antizipierten Aversivität der Konsequenzen auf den möglichen Mißerfolg muß aber für alle Gruppen vergleichbar sein, damit eine klare Erwartung an die Daten spezifiziert werden kann. Wie empirische Nachprüfungen ergeben haben, erzielten alle Gruppen eine vergleichbare Entwicklung bzgl. der antizipierten Konsequenzen des Mißerfolgs, mithin liegen konstante Bedingungen vor und damit sind auch eindeutige Erwartungen an eine Angstreduktion für die Transparenzgruppe theoretisch ziemlich stringent zu begründen.
Ergebnisse zur aktuellen Angst
Vergleicht man nur die Bedingungen "Transparenzpapier vs. kein Transparenzpapier", also EG vs KG , so kann die unterschiedliche aktuelle Angstentwicklung (=Interaktion zwischen Zeitpunkt [eine Woche vor, unmittelbar vor der Klassenarbeit] und den experimentellen Bedingungen [EG , KG]) jeweils auf dem Promilleniveau statistisch gesichert werden. Das Ausmaß der unterschiedlichen Angstentwicklung entspricht in etwa einer Standardabweichung und ist damit praktisch bedeutsam.
Der Vergleich EG vs PG erbringt erwartungswidrig sowohl bei der 2. Klassenarbeit wie auch bei der 3. Klassenarbeit keine statistisch signifikanten Vorteile für die EG. Lediglich die Gesamtentwicklung der Klasse B scheint den Vorteil des Transparenzpapiers deutlich zu bestätigen, aber dies ist nicht getestet worden. Auch das Placebopapier hat nachweislich gegenüber "nichts =KG" eine angstsenkende Wirkung, deren Wirkungsweise mir allerdings nicht ganz klar ist. Möglicherweise werden im Placebopapier vertrauensbildende Erwartungen aufgebaut, die irgendwie subjektiv kompetenzsteigernd wirken.
Führt Transparenzerhöhung zu besseren Noten ?
Wenn ein Transparenzpapier den prüfungsrelevanten Lehrstoff eingrenzt, die Prüfungsvorbereitung effizienter gestaltet, weniger Zweifel am Nutzen der Vorbereitung auf die Prüfung aufkommen läßt, die subjektive Kompetenz steigert und die Mißerfolgswahrscheinlichkeit senkt, dann ist zu vermuten, daß diese Einschätzungen nicht nur purer Phantasie der Schüler entspringen, sondern auch einen realen objektiven Hintergrund haben, der sich in verbesserten Noten für die Transparenzgruppen zeigen müßte.
Weil wir mit einem derartigen Ergebnis gerechnet haben, erhielt die Klasse C - aus Gerechtigkeitsgründen - vor der 4. Klassenarbeit ein Transparenzpapier, während die übrigen Klassen leer ausgingen. Auf erneute Angstmessungen und sonstige Erhebungen wurde verzichtet, um die Schüler nicht weiter zu belasten.
Die Abbildung zeigt den Prozentsatz der korrekt gelösten Aufgaben in der Klassenarbeit für alle Klassen über 4 Klassenarbeiten hinweg:
Sowohl die Unterschiede zwischen den Klassen zu den einzelnen Klassenarbeiten (querschnittlich), wie auch die Ergebnisse innerhalb der Klassen über die verschiedenen Bedingungen (längsschnittlich) belegen die Wirkung des Transparenzpapiers auf verbesserte Prüfungsleistungen. Dies konnte auch statistisch klar belegt werden. Das Ausmaß des Effektes liegt bei ca. 2 Punkten auf einer 20 Punkteskala bzw. bei ca 2/3 Noteneinheiten. Demgegenüber hat das Placebopapier keinen Einfluß auf die Prüfungsleistung.
Und irgendwie paßt natürlich das Ergebnis, wonach der Durchschnitt der Klasse ca. 90% der Aufgaben einer Klassenarbeit löst, überhaupt nicht in unsere Schullandschaft.
Jacobs, B., Bedersdorfer H.-W., Bohse-Wagner, N. (1983).
Angstabbau durch Transparenz - Eine quasiexperimentelle
Felduntersuchung zur ökologischen
Validierung eines theorieorientierten Interventionsprogramms zur Reduktion
von Angst in der Prüfung. Arbeitsbericht
Nr. 18 aus der Fachrichtung Allgemeine Erziehungswissenschaft.
Universität des Saarlandes.
Eine Kurzfassung zum Arbeitsbericht ist veröffentlicht worden unter:
Jacobs, B. 1984. Ambiguitätsreduzierende Maßnahmen
zum Abbau von Angst in der Prüfung. in K. Ingenkamp Hrsg.
Sozial-emotionales Verhalten in Lehr-
und Lernsituationen. Erziehungswissenschaftliche Hochschule Rheinland Pfalz.