Normenskalen
Um die Testergebnisse eines Probanden in verschiedenen Tests oder die Ergebnisse verschiedener Probanden in einem Test miteinander vergleichen zu können wurden unterschiedliche Normenskalen konstruiert.
Das theoretische Modell, das all diesen Skalen zugrunde liegt, ist die Normalverteilung. Der Gedanke der Normalverteilung ist eng mit dem Namen Gauß verbunden und wird meist durch die sogenannte Gauß´sche Glockenkurve veranschaulicht. Untersucht man biologische oder psychische Merkmale bei einer genügend großen Population, so kann man beobachten, dass die Mehrzahl der Messwerte im mittleren Bereich liegen und nur wenige in den Extrembereichen. Benutzt man nun die statistischen Kennwerte Mittelwert und Standardabweichung, um das typische Aussehen einer Normalverteilung zu beschreiben, so gilt, dass im Bereich einer Standardabweichung rechts und links vom Mittelwert immer 68,28 Prozent aller Messwerte liegen. Im Bereich von zwei Standardabweichungen über und unter dem Mittelwert befinden sich 95,46 Prozent aller Messwerte und im Bereich von drei Standardbweichungen 99,74 Prozent.
Wenn also in einer Population die Intelligenzquotienten mit einem Mittelwert von 90 und einer Standardabweichung von 8 annähernd normalverteilt sind, befinden sich 68,28 Prozent aller IQ-Werte dieser Probanden im Bereich von 82 und 98 IQ-Punkten.


Abbildung: Streuungsbreite in der Normalverteilung (aus Bundschuh, K. Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik: München 1991, 88f)
Eine ganz einfache Standardskala erhält man, wenn man dem Mittelwert einer Verteilung den Wert 0, der ersten Standardabweichung die Werte +1 und -1, der zweiten Standardabweichung die Werte +2 und -2 und der dritten Standardabweichung die Werte +3 und -3 zuordnet. Diese einfachste Standardskala wird z-Skala genannt. Setzt man Normalverteilung voraus, kann man jede beliebige Verteilung (X-Werte) mit Hilfe ihrer charakteristischen Kennwerte Mittelwert und Standardabweichung mit der z-Skala in Beziehung bringen:
(z - Mz ) : sz = (X - Mx) : sx
Setzt man in diese Gleichung die bekannten Werte der z-Skala für Mz= 0 und sz=1 ein und löst die Gleichung nach z auf, so erhält man:
(z - 0) : 1 = (X - Mx) : sx
z = (X - Mx) : sx
Dieser Vorgang wird die z-Transformation genannt. Mit Hilfe der allgemeinen Formel
ist es nun möglich, jeden beliebigen Wert einer Verteilung X in einen z-Wert zu transformieren, vorausgesetzt, man kennt den Mittelwert und die Standardabweichung dieser beliebigen Verteilung.
Beispiel:
Die vorliegende Verteilung von Rohwerten X besitzt den Mittelwert Mx= 20 und die Standardabweichung Sx = 5. Für den Rohwert X = 10 errechnet sich folgender Standardwert z:
(z - 0) : 1 = (X - Mx) : sx
z = (X - Mx) : sx
Dieser Vorgang wird die z-Transformation genannt. Mit Hilfe der allgemeinen Formel
z = (X - Mx) : sx
z = (10 - 20) : 5
z = -2
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Errechnet man auf diese Weise für alle möglichen Rohwerte eines Tests die entsprechenden z-Werte, kann man das Ergebnis eines jeden Probanden in diesem Test als Standardwert (nämlich z-Wert) angeben und hat damit eine Vergleichbarkeit der Testergebnisse hergestellt.
Für die Eichung und Normierung von psychologischen Tests wurden verschiedene Normskalen entwickelt, die sich in ihrem Differenziertheitsgrad voneinander unterscheiden. Lässt sich nämlich ein bestimmtes Merkmal mit einem Testverfahren sehr differenziert abbilden oder messen, so ist es sinnvoll auch eine entsprechend differenzierte Normskala zur Eichung zu verwenden. Ist dagegen bei einem anderen Merkmal nur eine grobe Messung möglich, eignet sich zur Eichung auch nur eine entsprechend grobe Normskala.

Über die z-Transformation lassen sich nun auch die Werte einer Normskala in jede beliebige andere umrechnen. Dies gelingt wieder, indem die beiden Verteilungen mit Hilfe ihrer Verteilungskennwerte Mittelpunkt und Standardabweichung zueinander in Beziehung gesetzt werden.
(X - Mx) : sx = z = (Y - My) : sy
vereinfacht: (X - Mx) : sx = (Y - My) : sy

Beispiel:
Ein Proband erreicht in einem Intelligenztest einen IQ von 95. Dieser IQ-Wert soll umgerechnet werden in einen T-Wert.
X |
= Wert in der IQ-Skala |
= 95 |
Mx |
= Mittelwert der IQ-Skala |
= 100 |
sx |
= Standardabweichung IQ-Skala |
= 15 |
Y |
= Wert in der T-Wert-Skala |
= ??? |
My |
= Mittelwert der T-Wert-Skala |
= 50 |
sy |
= Standardabweichung der T-Wert-Skala |
= 10 |
Setz man die Werte in die Umrechnungsformel ein ergibt sich für den gesuchten T-Wert:
(X - Mx) : sx = (Y - My) : sy
(95 - 100) : 15 = (Y - 50) : 10
Y = 46,67
Dem IQ-Wert 95 entspricht ein Wert von 46,67 auf der T-Wert-Skala.
Häufig wird ein Testergebnis auch in Form eines Prozentranges angegeben. Im Gegensatz zu den oben erläuterten Variabilitäts- oder Abweichungsnormen lassen sich Prozentränge nicht mit Hilfe der z-Transformation berechnen.
Prozentränge (PR) beruhen auf einer eigenen Transformation, die angibt, wie groß in der Norm- oder Eichstichprobe der relative Anteil von Probanden ist, deren Werte unterhalb, bzw. oberhalb eines Testwertes liegen. Es handelt sich hier also um eine reine Häufigkeitsangabe und nicht um ein Abweichungsmaß. Zum Beispiel besagt ein PR von 65, dass in der Vergleichsstichprobe 65 Prozent der Probanden niedrigere oder gleiche Werte erzielen und 35 Prozent dagegen höhere.
Der größte Vorteil der Prozentränge besteht in ihrer Anschaulichkeit. Auch der Laie versteht sofort ihre Bedeutung.
Die Berechnung der Prozentränge geschieht folgendermaßen:
- Die Rohwerte werden nach Klassen gruppiert, indem die Häufigkeiten und kumulierten Häufigkeiten für jeden Rohwert zusammengestellt werden.
- Die Prozentränge errechnen sich dann nach der Formel:
PR = (cumf : N) x 100
cumf = kumulierte Häufigkeiten der Rohwerte bis zur Klassengrenze
N = Anzahl der Probanden
Beispiel:
Vorgegeben ist:
- Rohwerte (X) reichen von 2 bis 7
- Häufigkeiten (f) der Probanden pro Rohwertklasse
- kumulierte Häufigkeiten (cumf)

Berechnung für die Rohwertklasse X = 4
cumf = 58
N = 127
PR4 = (58 : 127) x 100 = 45,66
Dem Rohwert 4 kommt der PR 46 zu. Dieser besagt, dass rund 46 Prozent der 127 Probanden 4 Rohwertpunkte oder weniger erreichen. Rund 54 Prozent erreichen mehr Rohwerte.
Formel zur Berechnung der Prozentränge: PR = (cumf : N) x 100
Cumf = kumulierte Häufigkeit
N = Anzahl der Probanden
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Mit dem errechnen der gewünschten Vergleichsnormen ist die Normierung eines psychometrischen Verfahrens und damit seine gesamte Konstruktion abgeschlossen. Die Ergebnisse der Itemanalyse, das Ermitteln der Gütekriterien und die Berechnung der gewünschten Vergleichsnormen oder Standardwerte sind in den Handbüchern der einzelnen psychologischen Tests nachzulesen und können so vom Benutzer der Testverfahren nachvollzogen und bewertet werden.
Speziell die für die Interpretation des Testergebnisses erforderlichen Standardwerte werden in Normentabellen für die jeweiligen Altersgruppen zusammengefasst. Jeder Testleiter ist somit in der Lage, aus diesen Normtabellen für jeden möglichen Rohwert die entsprechenden, von ihm gewünschten und benötigten Standardwerte herauszusuchen.