Die Frage, inwieweit Phänomene in den Sozialwissenschaften (Angst, Aggressivität, Intelligenz, ...) messbar sind, ist durchaus umstritten. Dennoch gilt grundsätzlich, dass sowohl in den Naturwissenschaften als auch in den Sozialwissenschaften nicht die untersuchten Objekte selbst, sondern lediglich ihre Eigenschaften zu messen sind. Ein Chemiker legt zum Beispiel ein Objekt auf die Waage und liest eine Zahl auf dem Messinstrument ab. Diese Zahl informiert ihn nicht über das Objekt schlechthin, sondern nur über eine bestimmte Eigenschaft, nämlich das Gewicht des Objektes. In den Sozialwissenschaften interessieren im allgemeinen Objekteigenschaften, die von sehr komplexer Natur sind (Intelligenz, soziale Einstellungen, ...), deren quantitative Erfassung sich äußerst schwierig gestaltet.
Dieses Problem der Messbarkeit ist eng verknüpft mit der Frage, was überhaupt unter Messen verstanden werden soll.
Würde man die Schülern einer Klasse beliebig durchnummerieren, käme niemand auf die Idee, diesen Vorgang als Messen zu bezeichnen. Anders wäre es jedoch, wenn die zugewiesenen Zahlen über eine Eigenschaft der Kinder zum Beispiel deren Körpergröße oder deren Alter informieren würden. Der größte Schüler erhielt auf diese Weise die Zahl 1, der zweitgrößte die Zahl 2, usw. Man könnte nun davon ausgehen, dass von zwei Schülern immer derjenige mit der größeren Zahl der körperlich kleinere ist.
Wie dieses Beispiel zeigt, wird unterschieden zwischen den zu messenden Eigenschaften und den Zahlen, die dem Objekt zur Charakterisierung der Ausprägung der Eigenschaften zugeordnet werden. Die Eigenschaftsausprägung der zu untersuchenden Objekte wird als empirisches Relativ E(O) bezeichnet und die Menge aller reellen Zahlen, die den Eigenschaftsausprägungen zugeordnet werden können, nennt man numerisches Relativ Z(O). Eine Messung ist um so präziser, je mehr Eigenschaften des numerischen Relativs (Ordinalaspekt: 4 ist immer größer als 3 oder 7 ist immer größer als 6; der Abstand zwischen 2 und 3 ist genauso groß wie der Abstand zwischen 4 und 5; ...) auf die Eigenschaften des empirischen Relativs übertragen werden können. Daraus lässt sich eine Minimaldefinition des Messens ableiten, die lautet:
"Eine Messoperation liegt dann vor, wenn mindestens eine Eigenschaft des numerischen Relativs auch für das empirische Relativ gilt" (Bortz, J. Statistik für Sozialwissenschaftler. Berlin 1989, S. 27).
Je nachdem, welche und wie viele Eigenschaften des numerischen Relativs auf das empirische übertragbar sind, ergeben sich Messungen auf unterschiedlichem Niveau und somit unterschiedliche Messskalen:
Die einfachste Eigenschaft des Zahlensystems ist die Gleichheit bzw. Ungleichheit zweier Zahlen, d.h. zwei Zahlen Z1 und Z2 können entweder gleich (Z1 = Z2) oder ungleich (Z1 ≠ Z2) sein (Netscape stellt das Ungleichzeichen leider nicht korrekt dar. Wir bitten um Entschuldigung). Überträgt man diese Eigenschaft auf die Objektrelationen des empirischen Relativs, so gilt für zwei Objekte O1 und O2:
Z(O1) = Z(O2) nur, wenn E(O1) = E(O2) und
Z sind hierbei die Zahlen, die den beiden Objekten zugewiesen werden und E ist ein bestimmtes Merkmal der beiden Objekte. Die oben formulierte Bedingung sagt, dass den Objekten nur dann die gleiche Zahl zugeordnet werden darf, wenn sie sich bezüglich des Merkmals nicht unterscheiden. Sind die Objekte hinsichtlich des betreffenden Merkmals nicht identisch, müssen auch die zugeordneten Zahlen unterschiedlich sein.
Z(O1) ≠ Z(O2) nur, wenn E(O1) ≠ E(O2).
Diese einfachste Form des Messens ist im Bereich der Sozialwissenschaften sehr häufig zu finden. Sie werden zum Beispiel verwendet beim Erfassen der Merkmale Geschlecht, Parteizugehörigkeit oder soziale Schicht (Alle Männer werden durch die Zahl 1 und alle Frauen durch die Zahl 2 gekennzeichnet. Alle CDU-Wähler erhalten die Zahl 1, alle SPD-Wähler die Zahl 2 und alle FDP-Wähler die Zahl 3, ...).
Eine weitere Eigenschaft unseres Zahlensystems besagt, dass von zwei unterschiedlichen Zahlen die eine entweder größer (Z1> Z2) oder kleiner (Z1 < Z2) ist. Beim Übertragen dieser Eigenschaft des numerischen Relativs auf das empirische ergibt sich für ein beliebiges Paar von Objekten O1 und O2:
Z(O1) > Z(O2) nur, wenn E(O1) > E(O2) und
Diese Forderung drückt aus, dass die größer-kleiner Beziehung zwischen den Merkmalsausprägungen der untersuchten Objekte auch durch die größeren und kleineren Zahlen korrekt abgebildet wird. Ein Lehrer könnte zum Beispiel seine Schüler nach der Leistungsstärke im Fach Mathematik ordnen. Dabei würde der Beste mit der Zahl 1, der Zweitbeste mit der Zahl 2, der Drittbeste mit der Zahl 3 usw. belegt. In vielen Fragebögen werden entsprechend des zu messenden Merkmals dem Befragten Behauptungen angeboten und dieser kann den Grad seiner Zustimmung oder Ablehnung der jeweiligen Behauptung mit Zahlen (4 = hohe Zustimmung, 3 = geringe Zustimmung, 2 = geringe Ablehnung, 1 = hohe Ablehnung) zum Ausdruck bringen.
Z(O1) < Z(O2) nur, wenn E(O1) < E(O2).
Eine weitere Eigenschaft der reellen Zahlen (numerisches Relativ) besteht darin, dass der Abstand zwischen den Zahlen 2 und 4 genauso groß ist wie der Abstand zwischen den Zahlen 4 und 6. Übertragen auf das empirische Relativ kann folgende Bedingung formuliert werden:
Z(O1) - Z(O2) = Z(O2) - Z(O3) nur, wenn
Gleichen Differenzen (Intervallen) im empirischen Relativ entsprechen gleicheDifferenzen (Intervalle) im numerischen Relativ. Der Unterschied oder das Intervall auf einer IQ-Skala zwischen 50 und 70 IQ-Punkten entspricht dem Unterschied zwischen den IQ-Punkten 70 und 90.
E(O1) - E(O2) = E(O2) - E(O3).
Dieser in der Sozialwissenschaft selten perfekt realisierte Skalentyp lässt im Gegensatz zur Nominal- und Ordinalskala Additions- und Subtraktionsoperationen zu.
Angenommen ein Schüler erzielt in einem Intelligenztest einen IQ von 60 und ein zweiter einen IQ von 120. Da die Intelligenzskala eine Intervallskala ist, wäre die Aussage, dass der Schüler mit dem IQ von 120 doppelt so intelligent ist wie derjenige mit dem IQ 60 nicht statthaft. Eine solche Aussage ist nur möglich, wenn die entsprechende Skala über einen festen Nullpunkt verfügt. Das Vorhandensein eines festen Nullpunktes zeichnet die Verhältnisskala aus. Mit den Maßzahlen können nun auch Multiplikationen und Divisionen durchgeführt werden.
Da die Lage des wahren Nullpunktes zum Beispiel bei der Messung von Persönlichkeitsmerkmalen wie Intelligenz, Leistungsmotivation usw. nur schwer zu ermitteln ist, finden Verhältnisskalen in den Sozialwissenschaften kaum Anwendung.